01 23 Magazin für Architektur, Garten und Lebensart

Loft-Feeling

Der Kompromiss entpuppt sich als Glücksfall. Architekt Carsten Joost baut für sich und seine Familie ein Haus im Grünen, statt in der Stadt – eine Liaison aus Sichtbeton und Backstein.

Ein Industrieloft in Hamburg nach eigenen Bedürfnissen gestalten – das war der Lebenstraum des Architekten und seiner Frau. „Da die ­vorherrschende Immobiliensituation in Hamburg diesen Wunsch für uns unmöglich machte, nutzten wir die Option vom elterlichen Grundbesitz.“ Ein 1.000 Quadratmeter großes Grundstück wurde abgespalten, um die Idee eines modernen Kubus in Sichtbetonbauweise zu realisieren. „Das war in Anbetracht der realisierten Größe und unseres Budgets eine akzeptable und realistische Alternative zum ursprünglichen Traumloft in der Metropole“, erklärt Architekt Carsten Joost, der als Projekt­leiter in der Projektentwicklung eines ­Hamburger Bauunternehmens arbeitet.

Was zunächst als Kompromiss begann, wurde zum großen Glücksfall. Kurzerhand plante das junge Ehepaar seine eigene Interpretation vom Leben im Loft. „Mit jedem Schritt, der uns unserem Traum näherbrachte, kam das Bedürfnis auf es noch perfekter zu machen“, erklärt der Architekt und Bauherr. Mit maximaler Transparenz und Reduktion, klarer Formensprache und einem gekonnten Mix aus Backstein und Sichtbeton schufen sie auf einer ehemaligen Weidefläche in einem niedersächsischen Dorf ein zeitgemäßes Refugium für ihre kleine Familie. Der moderne kubistische Baustil hebt sich deutlich vom sonst üblichen Erscheinungsbild aus Bauernhöfen und Sattel­dach-Einfamilienhäusern ab. Durch die bewusste Verwendung von Fassadenmaterialien wie dunkelrotem Backstein und Beton in Brettschal-Optik wurde der dörfliche, rustikale Charme wieder aufgenommen. So findet auch die Gebäudekubatur den Spagat zwischen der heterogenen angrenzenden Bebauung.

In seinem Entwurf ernennt Carsten Joost die Natur zum Hauptdarsteller und bestimmenden Design-Element: Aufgrund des Lichteinfalls verändert sich im Verlauf des Tages die Erscheinung der Betonoberfläche von gelbbraun bis weißgrau und somit auch die Stimmung im Innenraum, da im Inneren gedeckte Naturtöne den Ton angeben. Die weißen Möbel heben sich von der üblichen Farbwelt ab. Farblich homogene Türen wirken im weißen Türrahmen wie Bilder auf den strukturierten Betonwänden und setzen besondere Akzente. Die Landschaft mit Buchen, ­Weiden und kleinem Bachlauf spiegelt sich in den großen Fensterflächen des modernen Kubus-Baus. Wenn am Abend drinnen die Lichter angehen, verweben sich Innen und Außen und gewähren Einblick in die cleane Eleganz der ­Räume. Die Fassade und das Granitpflaster im Vorgarten nehmen den dörflichlichen Charme auf und dienen als verbindende Elemente zu den eher traditionellen niedersächsischen Fachwerkhäusern der Nachbarschaft.

Innen und außen verschmelzen auf wundersame Weise, wenn die Familie die Schiebetüren öffnet, verdoppelt sich die Wohnfläche. „An jedem Tag erleben wir den individuellen Rhythmus der Natur neu. Ob Regen, Gewitter oder Schnee – wir beobachten die Naturgewalten von der Couch aus und sind auch bei schlechter Witterung den ganzen Tag draußen, ohne nasse Füße zu bekommen.“ Einerseits liefert das Haus durch die Lichteinwirkung Wärme, andererseits schafft es durch den Betonkörper die Geborgenheit, die es braucht um sich rundherum wohlzufühlen. Das Ganze wirkt im Kontrast mit der Offenheit der großen Fensterfronten, die die Natur miteinbeziehen.

Das Erdgeschoss des zweigeschossigen Hauses stellt im Alltag die Aufenthaltsfläche dar. Hier finden in Küche und ­offenem Wohn-Essbereich sämtliche Aktivitäten der Familie statt: Die Küche mit schwarzem Naturstein nero assoluto ist die Kommunikationszentrale, sowohl für die Familie als auch im Kontakt mit den ­Dorfbewohnern. Das Esszimmer mit handgehobeltem, gebürsteten Eichenholzparkett versehen, vermittelt als Mittelpunkt des Familienlebens eine behagliche Wohnatmosphäre. Es gleicht einer Spielwiese und wird auch zum Toben und Hockeyspielen genutzt. Die Kinder können sich drinnen und draußen entfalten, sich austoben und ausprobieren. „Und wir können ihnen Vertrauensvorschuss liefern und gleichzeitig unseren eigenen Verpflichtungen nachkommen, ohne sie ganz aus den Augen zu verlieren.“ Der Rückzugsort der Familie ist das Obergeschoss. Hier finden sich die Schlafräume mit Bädern, Ankleide und Arbeitszimmer.

Für das Haus in komplettem Sichtbeton wurden alle Einbauteile und Fugen vorab geplant und definiert. Dank der hohen ­Planungsvorleistung realisierte das Ehepaar das eigene Haus von der ersten Idee im Spanienurlaub bis zur Fertig­stellung in nur elf Monaten Bauzeit: Ein Traum von Loft-Feeling in der Natur. Für die ganze Familie.

In der Natur zuhause

ARCHITEKT Carsten Joost, Hamburg
LAGE Winsen (Luhe)
BAUJAHR 3/2015 – 2/2016
FLÄCHE  221,6 qm zzgl. 46,2 qm integrierte Garage
INNENTÜREN Möbeltischlerei Wust, Potsdam
TISCHLERARBEITEN Tischlerei Matthias Sieg, Buxtehude
ELEKTRO Elektrotechnik Wolfgang Lay, Hamburg
SANITÄR Axel Schütt Sanitärtechnik, Winsen (Luhe) 
FENSTER H. Krüger Metallbau, Wildeshausen