01 22 Magazin für Architektur, Garten und Lebensart

Das Hausboot

Oder, wie die Hamburger Innenarchitektin Vivian Graé für zwei bekannte Künstler aus dem Inneren eines geschichtsträchtigen Wracks einen besonderen Kreativraum schuf, festgehalten in einer Netflix-Doku.

Sie hatten sich mal kurz bei einem gemeinsamen Auftraggeber kennengelernt, bevor das Multitalent Fynn Kliemann die Innenarchitektin Vivian Graé anrief und zur Besichtigung auf das ­Hausboot einlud. Alles war noch im Rohbau, nur die gewünschten Räume standen fest. Von Bord ging sie zurück in ihr Hamburger Büro mit einem Auftrag, der schöner kaum sein konnte: Komplettes Interiordesign mit Farbkonzept für das ganze schwimmende Projekt, das berühmt werden sollte – geplant und realisiert im passenden Dreiklang aus Gebrauchtmöbeln, Design-Kooperationen und Maßanfertigungen der Schreiner vor Ort. Aber hier erst mal, wie alles begann: Zwei Typen, ein Hausboot, ein Traum. „Wir kaufen ein altes Hausboot, streichen einmal durch, stellen ein paar neue Möbel vom Flohmarkt und Instrumente rein und in ein paar Wochen ist es fertig: Der Kreativraum für Alt und Jung, Arm und Reich, Anfänger und Musikveteranen“, so zumindest der Plan im November 2018 der Musiker Olli Schulz und Fynn Kliemann, die gemeinsam das Hausboot der Schlager-Country-­Legende Gunter Gabriel kauften, in dem er bis zuletzt gelebt hatte. Zwei Jahre später, nach viel Schweiß, eimerweise Tränen und noch mehr Streitereien, bis zum Rand der Verzweiflung, wurde dieser Traum endlich wahr!

Dienstags war Bootstag für Vivian Graé. Die Konzepte, die die Interiordesignerin über die Woche schuf und mit Handwerkern abstimmte, wurden in den vier Monaten vor Ort nach und nach vorgestellt und realisiert. „Das Ganze hatte eine besondere Dynamik“, so die Innenarchitektin, „und das Projekt lebte davon, dass eine Gemeinschaft Dinge realisierte, die zunächst mal nur geträumt waren.“ Der Grundriss gliedert sich in zwei Bereiche und das Sonnendeck. Im linken Teil befindet sich das vollausgestattete Musikstudio mit Panoramafenster und Lounge. Im rechten Teil ist der Wohnbereich mit drei Schlafkojen, Bad und großzügigem Wohn- und Essbereich. Das Besondere: Das Hausboot wurde nicht nur saniert. Ausgestattet mit einer Solaranlage auf dem Dach, Wärmetauschanlage und Filtern, durch die das Wasser aus den Sanitäranlagen gesäubert zurück in die Elbe geleitet wird, funktioniert das schwimmende Studio möglichst autark und nachhaltig. „Diese Aspekte und Details waren sehr spannend – und natürlich die Eigner selbst.“ Für die kleinen Kojen entwickelte die Innenarchitektin Konzepte mit maximaler Nutzung und Gemütlichkeit, ganz nach den Vorlieben der Künstler. Ollis Kajüte ist wie geschaffen für einen, der sich gerne zurückzieht, falls mal wieder alle voll abnerven: Fein bemalte Wände inspiriert von seinem zweiten Cover „Das Beige Album“, ein schwebendes Bett direkt auf Fensterhöhe mit Blick aufs Wasser, darunter Platz für Habseligkeiten, Gitarrenkoffer, Kanarienvogelkäfige und Lieblingspullis und für Fellnasen. Steht man in Fynns Zimmer ist es ein bisschen so, als stünde man in seinem vielbeschäftigten Kopf. Von den Wänden springen einzelne Worte im Stil seines zweiten Albums „POP“ entgegen. Durch ein ausgeklügeltes System der vier Klapp- und Hochbetten, wird es mit nur wenigen Handgriffen zu einem Büro.

Das Herz des Kahns ist das booteigene Studio. Der Ort, an dem neue Songs geschrieben, aufgenommen und produziert werden, lässt keine Wünsche offen und bietet mit seinen 42 Quadratmetern jede Menge Freiheit. Komplett schallentkoppelt und akustisch isoliert, ist es mit allem ausgestattet, was man für den kreativen Prozess braucht: Angefangen beim State of the Art-Mischpult, über Vintage Tasteninstrumente aus Fynns persönlicher Sammlung, einem klassischen Drumset, feinstens ausgewählten Schallplatten, bis hin zum allerbesten Ausblick aufs Wasser.

Neben dem vollausgestatteten Atelier gibt es auch den kulinarischen Kreativraum. Die Bootsküche mit dem offenen Wohnbereich verbunden, verfügt über sämtliche Geräte, um sich ganz entspannt für mehrere Tage auf dem Kahn zu verschanzen und selbst zu versorgen. Hier häutet Fynn vorgeröstete Enten, um die knusprige, goldbraune Haut mit duftendem Rotkohl à la Oma zu verspeisen. Olli bereitet in der Schiffskombüse sein weltberühmtes Labskaus zu. Aber ohne Rollmops, den mag er nicht. Um die Essecke auch mal vom Wohnbereich zu trennen, wurde ein elektrisch ausfahrbarer Fernseher mit doppelseitigem Display eingebaut. Und sobald die kalte Jahreszeit in Hamburg einkehrt, macht der Kaminofen das Leben noch ein bisschen kuscheliger.

Die Wände, entweder schwarz oder hell mit dunklen Holzstreben, die der Form des Bootes folgen. Das Highlight: Die mit Sonnensegeln überspannte Dachterrasse mit Bühne. Doch was fehlt für den ultimativen Rock’n’Roll-Trip? „Unser liebster Zaubertrick ist die aus dem Boden herausfahrende Mini-Bar. Per Knopfdruck kommt Dir Dein Pils, Whisky Sour oder Tequila Sunrise entgegen.“ Direkt daneben steht das Hausboot-Klavier. Hier kann man seinen Elton John ausleben und direkt aufnehmen – Mikro in die Plugbox und das Signal landet im Studio. „Je mehr wir Zeit auf dem Boot verbrachten, desto bewusster wurde uns, wie schade es wäre, die Möglichkeiten zu begrenzen“, erklären Olli Schulz und Fynn Kliemann. So kam es, dass man den berühmten Ort mieten kann – an dem einst Gunter Gabriel lebte, den zwei Musiker zu ihrer persönlichen Oase umfunktionierten. An Bord lässt sich genauso gut die Weihnachtsfeier eines neuen Start-Ups feiern, wie sich verschanzen, um eine neue Platte aufzunehmen – egal ob Party, Release oder einfach abhängen, es gibt viele Gründe, um vom Oberdeck direkt in die Elbe zu springen.

Wahrscheinlich war das Hausboot das schönste und aber auch schlimmste Projekt im Leben von Olli Schulz und Fynn Kliemann. Die ganze wilde Fahrt voller Tobsuchtsanfälle und Euphorie, vom exzentrischen Höhenflug bis zur totalen Pleite und wieder zurück gibts in der Doku-Serie auf Netflix zu sehen, in der man auch durch Vivian Graés Modellbauten geführt wird, die sie den Jungs zur Veranschaulichung gebaut hat. Sehr sehr sehenswert!


www.viviangrae.de

www.dashausboot.de

Autarkes Kreativstudio im Harburger Hafen